Forscher kritisieren zu kurze Vorwarnzeit bei autonomen Fahrzeugen

Forscher der Universität von Southampton betonen die Wichtigkeit von flexiblen Vorwarnzeiten in hochautomatisierten Fahrsystemen. Wird zu wenig Zeit eingeräumt, beim Wechsel der Fahraufgabe von System zum Fahrer, kann dies im schlimmsten Fall zu Unfällen aus Panik führen …

In naher Zukunft werden Entwickler den Schritt vom Teilautomatisierten zum Hochautomatisierten Auto gehen. Mehrere Autohersteller haben bereits in den vergangenen Jahren richtungsweisende Systeme in der Kategorie des Teilautomatisierten Fahrens vorgestellt. Dazu zählen unter anderem Google (2012), BMW (2013), Audi (2014), Mercedes‘ Intelligent Drive Concept (2015) und Tesla’s Autopilot (2015).

Automatisierungsstufen im Überblick:

Teilautomatisiertes Fahren: Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe bereit sein.

Hochautomatisiertes Fahren: Der Fahrer muss das System nicht dauerhaft überwachen. Das System warnt den Fahrer aber rechtzeitig, wenn dieser eingreifen muss.

Individuell unterschiedliche Reaktionszeiten

Um die bevorstehenden Herausforderungen für reales hochautomatisiertes Fahren  zu meistern, hat ein Forscher-Team der Universität of Southampton (England) eine Studie zu diesem Automatisierungsgrad durchgeführt. Ihr Fokus lag auf der Reaktionszeit, die ein Mensch benötigt um nach der Aufforderung durch das hochautomatisierte System des Autos, die Fahrkontrolle wieder zu übernehmen.

Dafür haben die Wissenschaftler zunächst Daten zu Reaktionszeiten von bereits existierenden Studien genutzt. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass es gängige Praxis ist, von den gemessenen Reaktionszeiten aller Probanden in der Auswertung einen Mittelwert zu bilden. Für die Forscher kann sichereres hochautomatisiertes Fahren jedoch nur dann Wirklichkeit werden, wenn das Spektrum aller individuell unterschiedlichen Reaktionszeiten Erwägung findet.

Normale Situationen vernachlässigt

Ihnen ist außerdem aufgefallen, dass sich die meisten Studien speziell auf gefährliche Situationen beziehen, in denen eine Übernahme durch den Menschen ohnehin möglichst schnell geschehen muss. Wie die bestehenden Studien zeigen, reichen 7-8 Sekunden Vorlaufzeit für den Fahrer aus, um die Steuerung des Fahrzeugs zu übernehmen. Bei normalen Situation hingegen, beispielsweise wenn der Autopilot nur für die Autobahn vorgesehen ist und an einer Ausfahrt die Fahraufgabe an den Fahrer zurück gibt, könnten sich erhebliche Abweichungen bei den individuellen Reaktionszeiten ergeben.

Demonstration des Tesla Autopiloten

Eigene Versuchsreihe der Forscher

Um die Reaktionszeiten der Fahrer herauszufinden, wenn sie in einer nicht gefährlichen Situation die Fahraufgabe übernehmen sollen, haben die Forscher eine eigene Versuchsreihe entwickelt. Dafür hatten die Forscher 26 Probanden (10 ♀,16 ♂) im Alter von 20 bis 52 Jahren, mit im Schnitt 10,6 Jahren Fahrerfahrung. Die Teilnehmer fuhren in einem stationären Simulator mit aktiviertem hochautomatisierten Fahrsystem. Mit 70 m/h (113 km/h) ging es über eine 30 Kilometer lange, dreispurige Autobahn mit einigen Kurven und entgegen kommenden Verkehr auf der gegenüberliegenden Fahrbahn. Die Fahrer wurden während der Fahrt mehrfach aufgefordert, die Fahraufgabe zu übernehmen, wobei sie diese schon kurze Zeit später wieder an das System abgeben sollten. Die unten gezeigten Symbole signalisierten die Aufforderung visuell. Zusätzlich erfolgten akustische Signale über den Lautsprecher.

Steuer übernommen nach 25,8 Sekunden

Der beschriebene Versuch wurde in zwei Szenarien durchprobiert. Im ersten sollten sich die Probanden auf den Verkehr und die Überwachung des Systems konzentrieren. Im nächsten Durchlauf sollten sie bei aktiviertem Autopiloten eine Zeitung lesen. Dabei überrascht es kaum, dass die Probanden beim Fahren mit Zeitung im Schnitt 1,5 Sekunden länger brauchten, um nach Aufforderung das Auto wieder selber zu steuern.

Wie bereits von den Forschern erahnt, zeigten die gemessenen Reaktionszeiten je nach Fahrer erhebliche Unterschiede. Während der schnellste Proband in knapp zwei Sekunden und beim Zeitung lesen nach 3,2 Sekunden das Steuer übernahm, benötigte der langsamste bis zu 25,8 Sekunden. Selbst bei Tempo 80 würde das Auto in dieser Zeit 576m zurücklegen bevor der Fahrer bereit ist zu reagieren.

Vorwarnzeiten müssen flexibel sein

Aus diesem Anlass warnen die Forscher vor starren und zu kurzen Vorwarnzeiten der Systeme. Der Leiter der Studie und Professor am Lehrstuhl „Menschliche Faktoren im Verkehr“ Neville Stanton betont, dass eine Orientierung am Mittelwert für die Entwicklung von Autopiloten und die gesetzlichen Vorgaben ungenügend sei. Üblicherweise wird der Einfluss des Menschen beim Design von Technik nur so berücksichtigt, dass 90 Prozent der Bevölkerung abgedeckt sind. „Die Herausforderung für die Entwickler liegt darin, der gesamten Spanne der Reaktionszeiten Rechnung zu tragen.“

Selbst 26 Sekunden kein Problem

Alexander Eriksson, einer der Autoren der Studie erläutert, dass bei zu kurzen Vorwarnzeiten manche Fahrer zum Verkehrsrisiko werden könnten. Sie könnten dann so gestresst sein, „dass sie aus Versehen ausbrechen, unvermittelt die Spur wechseln oder scharf bremsen“. Selbst in den 26 Sekunden des langsamsten Probanden sieht Eriksson eigentlich kein Problem: „Ein Grund für eine lange Zeitspanne könnte beispielsweise sein, dass die Technik in einer Kurve um Übernahme bittet und der Fahrer wartet, bis der Wagen wieder auf gerader Strecke ist. Das ist in einer unkritischen Situation vollkommen akzeptabel.“ Für die Wissenschaftler ist eine großzügige Übergabezeit vom System zum Menschen daher ein wichtiges Kriterium für den Erfolg von künftigen hochautomatisierten Systemen.

Um möglichst flexible Übergabezeiten zu gestalten, wäre eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit des Fahrers via Kamera zu überprüfen. Ist dieser gerade durch eine Zeitung oder ähnliches abgelenkt, könnte das System ihm mehr Vorlaufzeit einräumen.

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